TAZ Berlin

Null Untergang

Tempodrom 1981: Das festival genialer Dilletanten" sorgt für Furore. Eine neue Multimedia-Box dokumentiert jetzt dessen Bedeutung für die Berliner Subkultur

Die Farbe der Genies, sie muss Rot sein. In einer Sammelrezension neuer Mozartbücher stellte ein Autor der Zeitschrift Literaturen kürzlich fest, dass beinahe sämtliche Bücher über den berühmtesten Salzburger mit einem roten Einband versehen worden sind. Auch die Multimedia-Box, die nun anlässlich des 25. Jubiläumsjahres des "Festival Genialer Dilletanten" erschienen ist, kommt ganz in Rot daher.

Während sich bei Mozart alle Welt einig ist, dass der Mann begnadet war, waren es die Genialen Dilletanten vor allem selbst: Es war ein krasser Fall von Selbstermächtigung, als die Bewegung am 4. September 1981 im Tempodrom ein Festival mit dem Titel "Die große Untergangsshow" gaben. Es war nicht mal klar, ob das, was die diversen Postpunkbands wie Sprung aus den Wolken, Sentimentale Jugend oder die Tödliche Doris da auf der Bühne veranstalteten, noch als "Musik" bezeichnet werden konnte. Blixa Bargeld schrieb im Vorwort des kurz nach dem Festival von Merve herausgegebenen "Geniale Dilletanten"-Buchs: "Unsre Musik sind keine Töne mehr, es ist auch nicht wichtig, was es für Klänge sind." Während ein Leserbriefschreiber damals im Tip befand: "Ich dachte immer, Musik zu machen hätte doch wenigstens ansatzweise etwas mit Kreativität zu tun, aber bei den ,Genialen Dilletanten' = NULL! …"

Schlussfolgerung kann nur sein: Hierbei musste es sich um echte Avantgarde handeln - denn die möchte bekanntlich immer etwas unbedingt nicht sein und trifft gerne auf großes Unverständnis. Damals war Punk gerade gestorben, in New York wurden No Wave und Bands wie DNA oder Marrs als das neue Ding gehandelt. Beim No Wave ging es darum, den Krach des Punk intellektuell aufzuladen - so zu tun, als verstünde man auch etwas von Jazz und John Cage, von Fluxus und Minimal Music. Genau das hatten die Genialen Dilletanten auch im Sinn.

Deren Untergangsshow kann man nur legendär nennen. Präsentiert wird sie Vinyl-On-Demand-typisch in beinahe schon übertrieben liebevoller Aufmachung und ganz dem Gedanken der Vollständigkeit verpflichtet. So liegt der Box nicht nur eine DVD mit einem 60-minütigen Festivalmitschnitt bei, sondern auch ein T-Shirt, eine Live-CD und eine Doppelvinyl mit Aufnahmen aus dem Publikum. Auf der lässt sich hübsch nachhören, dass nicht jeder damals einverstanden war mit dem, was ihm da im Tempodrom an komischem Zeug vorgesetzt wurde.

Aber das Festival hat seine Spuren hinterlassen, viele der Protagonisten gehören heute ins Einmaleins der Berliner Subkultur: Gudrun Gut, Max und Wolfgang Müller sowie Blixa Bargeld sind weiter ihre Aushängeschilder, während der Moderator der Show, Wieland Speck, heute für das Panorama-Programm der Berlinale zuständig ist. Der Bassist von Kriegsschauplatz, Frank Xerox, heißt heute Westbam, und Mark Reeder von Nekropolis gründete später das Technolabel MFS. In dem ausführlichen Booklet, das der "Geniale Dilletanten"-Box beliegt, schreibt Wolfgang Müller zu Recht: "Im Festival der Genialen Dilletanten finden wir die Wurzeln des Techno. Kein Wunder, dass aus Kriegsschauplatz und Aggression die Love Parade wuchs - als Ausgleich sozusagen."

Diese Box ist ein großes Glücksdokument - immerhin war das Festival für die Szene des eingemauerten Berlin in den Achtzigern prägend wie kein anderes Ereignis. Natürlich ist die Qualität der Aufnahmen teilweise hundsmiserabel - aber allein zu sehen, dass Blixa Bargeld damals aussah wie Klaus Kinski in Werner Herzogs "Nosferatu", ist ganz großes Kino.

ANDREAS HARTMANN

Die große Untergangsshow - Festival Genialer Dilletanten Box; zu bestellen unter www.vinyl-on-demand.com

taz Berlin lokal vom 19.1.2006, S. 27, 123 Z. (TAZ-Bericht), ANDREAS HARTMANN

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